In den vergangenen Jahren haben das Theater, seine Künstler*innen und Einrichtungen innovative künstlerische Ausdrucksweisen entwickelt. Die Globalisierung, zunehmende Migration und die dadurch entstehende Vielfalt in unseren europäischen Gesellschaften haben dazu geführt, dass sich die darstellenden Künste aktiv in soziale und politische Bereiche einbringen. Theater, Performance, Tanz beschäftigen sich nicht nur mit Themen, die für die Soziale Arbeit relevant sind, sondern erweitern ihre Möglichkeiten, indem sie mit nicht professionellen Akteur*innen zusammenarbeiten und so neue Formen ästhetisch-künstlerischer Praxis entstehen lassen.
Für diese neuen Theaterformen hat sich der Begriff Applied Theatre etabliert. Applied Theatre zeigt sich etwa als Bürgerbühne oder Stadtteilprojekt, als partizipatives Theater mit diversen Zielgruppen und hat eine fünfte Sparte in den öffentlich geförderten Theatern etabliert. Nicht selten nehmen diese partizipativen Theaterformen auch aktivistische Züge an. Die Kunstform bewegt sich zwischen ästhetischer Freiheit und ihrem Engagement in gesellschaftlichen Belangen, zwischen künstlerischer Forschung und sozialem Handeln. Im deutschsprachigen Raum wächst eine solche Kunstform heran, die bisher in Ausbildungseinrichtungen – sei es in der Theaterwissenschaft oder in der Sozialen Arbeit – kaum Berücksichtigung gefunden hat.
„Wir gehen mit diesem Studiengang neue Wege, hinein in konkrete gesellschaftliche Problemfelder. Nehmen wir beispielsweise das Thema Integration. Da geht es um einen gewissen sozialen Zusammenhalt, um Begegnung und die Vermittlung demokratischer Werte. Applied Theatre kann die Erreichung dieser Ziele nachhaltig fördern", sagt Prof. Dr. Wolf-Dieter Ernst, Theaterwissenschaftler und Studiengangsmoderator an der Universität Bayreuth.
Professor Björn Bicker, der als praktizierender Künstler in diesem Feld den Studiengang von Coburger Seite gemeinsam mit Prof. Ernst leiten wird, unterstreicht die Relevanz des neuen Studienangebots: „Es geht darum, Community, Gemeinschaft zu praktizieren und die verändernde, befreiende Kraft der künstlerischen Praxis zu erfahren. In einer Gesellschaft, die vom Zerfall bedroht ist, scheint mir das die zentrale Herausforderung zu sein. Zu dieser Arbeit wollen wir unsere Studierenden befähigen.“
Der Masterstudiengang „Applied Theatre: Theater als Soziale Arbeit“ führt innerhalb von vier Semestern zu einem zweiten, berufsqualifizierenden Abschluss, der dazu befähigt, künstlerische Projekt- und Stückentwicklung und Produktionsdramaturgie inner- und außerhalb des Theaters anzuleiten. Die Studienstruktur sieht vor, dass die ersten zwei Semester sowohl der Einführung in die Teilbereiche des Studiums Theaterwissenschaft, Theaterdidaktik, Soziale Arbeit, Kulturpolitik und Kulturmanagement dienen als auch dem unmittelbaren Beginn erster projektorientierter Arbeiten. In kleinen Teams und im Präsenzstudium an beiden Standorten erarbeiten und erforschen die Studierenden ihre Vision des Applied Theatre. Ab dem zweiten Semester ist das Studium sehr praxisnah auf Partnerinstitutionen im sozialen Feld ausgerichtet. Das können etwa Schulen, Altenheime, Jugendzentren, Kulturvereine und Theater sein. Im Fokus steht nun die Entwicklung eines Projekts im sozialen Feld, das von einer interdisziplinären studentischen Gruppe durchgeführt wird. In Kooperation mit Partnerinstitutionen der Zivilgesellschaft entstehen so einzigartige Aufführungen von und mit nicht-professionellen Akteur*innen. Das vierte Semester vertieft die Studienerfahrung in Form der abschließenden Masterarbeit.
Dank eines praxisnahen, interdisziplinären Studienangebots erwerben Absolvent*innen Fähigkeiten in der Entwicklung, Umsetzung und Beurteilung von Theaterprojekten mit nicht professionellen Darsteller*innen und diversen Zielgruppen. Dies schließt insbesondere die erfolgreiche Realisierung von Projekten für unterschiedliche Projektträger und Förderstrukturen sowie die Kenntnis juristischer und sozialer Rahmenbedingungen ein, also die Kernkompetenzen guter Sozialer Arbeit. Zu den entscheidenden Qualifikationen erfolgreicher Absolvent*innen des Masterstudiums gehören organisatorische Kompetenz, eigenständiges konzeptionelles und künstlerisches Arbeiten sowie sozial-gesellschaftliche Sensibilität im Umgang mit vielfältigen Zielgruppen und Akteuren. Ebenso beherrschen sie die Begleitung von Gruppenprozessen.
Eingebettet ist der Studiengang in die Sprach- und Literaturwissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth und die Fakultät für Soziale Arbeit der HAW Coburg.