Universität Bayreuth, Pressemitteilung Nr. 056/2025 vom 03.07.2025
Erstmals wissenschaftlich fundierte Empfehlungen fürs Dehnen
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Prof. Dr. Dr. Jan Wilke von der Universität Bayreuth hat erstmals konkrete Empfehlungen zum Thema Dehnen für die Praxis verfasst. Mit den im Journal of Sports and Health Science veröffentlichten Empfehlungen helfen die Forschenden dabei, die seit Jahren bestehenden Kontroversen zum Stretching beizulegen und mit entsprechenden Mythen aufzuräumen.

What for?
Das Thema „Dehnen“ wird seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Vor oder nach dem Sport? Wie lang? Statisch oder federnd? Und kann Dehnen wirklich einem Muskelkater vorbeugen, Schmerzen reduzieren und das Verletzungsrisiko minimieren? Obwohl es solide wissenschaftliche Erkenntnisse zur effektivsten Anwendung und den Wirkungen von Stretching gibt, basiert die Anwendung in der Praxis meist eher auf Glauben und Hörensagen. Die Empfehlungen des internationalen Teams unter Bayreuther Führung helfen dabei, mit weit verbreiteten Mythen aufzuräumen und Sporttreibenden, Trainerinnen und Trainern sowie Therapeutinnen und Therapeuten eine klare Orientierung zu liefern, wann Dehnen sinnvoll ist.
Die Einsatzfelder von Stretching sind kaum limitiert und reichen von der Beweglichkeitssteigerung über die Verletzungsprävention bis zur Schmerzbehandlung. Allerdings erzielt Dehnen nicht in allen Fällen die Effekte, die ihm zugeschrieben werden. So kann es etwa Fehlhaltungen wie einen Rundrücken nicht beseitigen und hat auch in der Verletzungsprävention vermutlich nur geringen Wert. Oft gibt es zudem wissenschaftlich belegte Alternativen, die genauso gut oder besser als das Dehnen funktionieren. Beispielsweise führt auch Krafttraining zu einer Steigerung der Beweglichkeit, wenn es über den vollen Bewegungsspielraum ausgeführt wird. „Was fehlt, sind klare Empfehlungen für die Praxis. Denn auch, wenn Dehnen nicht immer hält, was es verspricht, ist es eine leicht anwendbare, immer verfügbare und kostenlose Form des Trainings“, sagt Prof. Dr. Dr. Jan Wilke vom Lehrstuhl Neuromotorik und Bewegung der Universität Bayreuth.
Zwanzig der weltweit renommiertesten Expertinnen und Experten aus der Dehn-Forschung haben sich unter Leitung von Prof. Wilke zusammengetan, um auf Basis der aktuellen wissenschaftlichen Evidenz Empfehlungen herauszugeben, die die Praxis des Dehnens vereinfachen sollen: Wann ist Dehnen sinnvoll, wann nicht? Wie lange soll man dehnen und mit welcher Technik? Hierfür hat das internationale Konsortium zunächst als Grundlage die aktuelle Studienlage recherchiert. Danach folgte ein sogenanntes DELPHI-Verfahren, bei dem Formulierungen und Empfehlungen unter den Fachleuten in mehreren Runden anonym diskutiert wurden, bis ein deutlicher Konsens entstand.
Trotz der Komplexität des Themas gelang eine Einigung in allen zwölf untersuchten Anwendungsfeldern. Das Forschungsteam empfiehlt etwa:
- zur kurzfristigen Steigerung der Beweglichkeit mindestens zwei Serien mit fünf bis 30 Sekunden Dauer – Dehntechnik egal
- zur Senkung der Muskelsteifigkeit mindestens vier Minuten statischen Dehnens – für die langfristige Anwendung fünfmal pro Woche
- zur positiven Beeinflussung des Herz-Kreislaufsystems und der Gefäße sogar mindestens sieben Minuten (akute) oder 15 Minuten (langfristig) statischen Dehnens
Weniger eindeutig ist die Literaturlage in anderen Bereichen. Konkrete Empfehlungen zu Technik und Dauer des Stretchings geben die Forschenden in der Publikation jedoch auch in Bezug auf Dehnen zur Unterstützung von Muskelwachstum und Kraftsteigerung. Nicht empfohlen wird Dehnen hingegen zur Verletzungsprävention, zur Beschleunigung der Regeneration oder zur Haltungsverbesserung.
„Laut Studien dauert es durchschnittlich 17 Jahre, bis Forschungsergebnisse in der Praxis etabliert und bekannt sind. Die Arbeit unseres Teams ist deshalb besonders wichtig für den Transfer von Wissenschaft in die Anwendung. Die Kombination aus einer Analyse wissenschaftlicher Evidenz sowie persönlicher Meinung und praktischer Erfahrung der Forschenden hilft hoffentlich dabei, dass Dehnen vom Zankapfel zu einem wertvollen, aber gezielt eingesetzten Trainingsmittel wird“, sagt Wilke.
Originalpublikation: Warneke et al. Practical recommendations on stretching exercise: A Delphi consensus statement of international research experts. Journal of Sport and Health Science (2025)

Prof. Dr. Dr. Jan WilkeLehrstuhl für Neuromotorik und Bewegung
Universität Bayreuth
Tel.: +49 (0)921 / 55-3460
E-Mail: jan.wilke@uni-bayreuth.de

Theresa HübnerStellv. Pressesprecherin
Universität Bayreuth
Universität Bayreuth
Tel.: +49 (0)921 / 55-5357
E-Mail: theresa.huebner@uni-bayreuth.de