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Universität Bayreuth, Pressemitteilung Nr. 129/2024 vom 19.11.2024

Neue Einblicke in die Evolution von Nervenzellen im Wirbeltiergehirn

Selbstverständlich erscheinende Annahmen sind bei der Evolution von Wirbeltiergehirnen nicht immer zutreffend. Das haben Forschende der Universität Bayreuth nun anhand von Untersuchungen der größten Nervenzelle im Gehirn blinder mexikanischer Höhlenfische belegt. Über ihre Erkenntnisse berichten sie im renommierten Fachjournal PNAS.

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Auch das Gehirn von Wirbeltieren kann sich im Zuge von Anpassung an einen neuen Lebensraum oder neue Lebensbedingungen im Laufe der Evolution verändern. Dabei basiert das bisherige Verständnis der Evolution des Wirbeltiergehirns überwiegend auf Veränderungen von größeren Strukturen und dem Bewusstsein, dass sich auch einzelne Zelltypen verändert haben. Welche Auslesefaktoren die Eigenschaften einzelner Nervenzellen im Verlauf der Evolution geformt haben, ist hingegen schwierig zu erforschen und unzureichend verstanden. Hierfür braucht es detailliertes Wissen zu Form und Funktion der untersuchten Nervenzellen sowie einen massiven Einschnitt in einem wichtigen Faktor der Lebensumstände, der als Selektionsdruck dienen könnte. Erkenntnisse, wie Veränderungen in der Umwelt im Laufe der Evolution das Wirbeltiergehirn modifiziert haben, tragen dabei zum Verständnis der biologischen Vielfalt und der Entwicklung von Verhaltensweisen bei Wirbeltieren inklusive des Menschen bei.

Die blinde Höhlenform (oben) und Oberflächenform (unten) des Mexikanischen Salmlers (Astyanax mexicanus) (Skalierung: 20 mm).

Der Mexikanische Salmler (Astyanax mexicanus) ist ein Süßwasserfisch, der natürlicherweise in einer flusslebenden Oberflächenform und mehreren, unabhängig voneinander entstandenen Höhlenformen vorkommt. Einige der Höhlenformen haben im Gegensatz zur Oberflächenform keine funktionalen Augen. Diese haben sich im Laufe der Evolution zurückgebildet, da blinde Fische in den Höhlen ohne Licht keinen Nachteil hatten und sich vermehren konnten. Eine Gemeinsamkeit der Oberflächen- und Höhlenformen ist jedoch das Mauthner-Neuron: die größte Nervenzelle im Stammhirn von Fischen. Dieses Neuron erhält als sogenanntes multisensorisches Kommando-Neuron Informationen aus unterschiedlichen Sinnesorganen (u.a. den Augen und Ohren), und löst auf Basis dieser Informationen bei Bedarf innerhalb von Millisekunden eine Fluchtreaktion aus. „Das Fehlen von Raubtieren in der Höhle und der Verlust des Sehvermögens bei der untersuchten Höhlenform legt eine massive Reduzierung des Mauthner-Neurons und den Verlust des Zellfortsatzes nahe, der bei sehenden Arten die von den Augen kommende Information verarbeitet. Wir haben allerdings herausgefunden, dass diese selbstverständlich erscheinende Annahme falsch ist“, sagt Dr. Peter Machnik vom Lehrstuhl für Tierphysiologie an der Universität Bayreuth, Leiter der Studie.

Für diese Erkenntnis haben die Forschenden aus Bayreuth die Mauthner-Zellen der Oberflächen- und Höhlenformen des Mexikanischen Salmlers untersucht und verglichen. Das Ergebnis: In der Höhlenform sind alle Merkmale der Form und Funktion des Neurons erhalten geblieben, trotz der gravierenden Veränderung des Lebensraums. „Unsere Studie deutet darauf hin, dass das Mauthner-Neuron des blinden Mexikanischen Salmlers einer komplexen Form der stabilisierenden Selektion unterliegt, die bisher noch nicht verstanden ist, die typische Merkmalsausprägung des Mauthner-Neurons aber begünstigt. Der Fortsatz des Neurons, der bei sehenden Arten visuelle Information verarbeitet, spielt dabei weiterhin eine Rolle und verarbeitet möglicherweise andere sensorische Eingänge“, so Machnik.

Fortsatz des Mauthner-Neurons, der in sehenden Fischen die vom Auge kommenden Informationen verarbeitet (Skalierung: 100 µm).

„Das Besondere an dieser Studie ist, dass wir die Vorteile der verschiedenen Formen des Mexikanischen Salmlers mit denen des Mauthner-Neurons als individuell identifizierbare, multisensorische Nervenzelle zusammengebracht haben. So wird in einem besonders klaren und überprüfbaren Fall deutlich, dass die Vorhersage der Evolution von Neuronentypen im Wirbeltiergehirn weit von selbstverständlichen Annahmen entfernt sein kann“, sagt Prof. Dr. Stefan Schuster, Leiter des Lehrstuhls für Tierphysiologie.

Die Studie wurde durch ein Reinhart Koselleck-Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG; Schu1470/8) finanziert.

Originalpublikation: Stabilizing selection in an identified multisensory neuron in blind cavefish. Mercedes Hildebrandt, Mona Kotewitsch, Sabrina Kaupp, Sophia Salomon, Stefan Schuster, Peter Machnik. PNAS (2024)

DOI:  https://doi.org/10.1073/pnas.2415854121

Dr. Peter Machnik.

Dr. Peter Machnik

Lehrstuhl für Tierphysiologie
Universität Bayreuth

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E-Mail: peter.machnik@uni-bayreuth.de

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Anja-Maria MeisterPressesprecherin Universität Bayreuth

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