Prof. Dr. Stefan Ouma, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsgeografie an der Universität Bayreuth, sein Mitarbeiter Tobias Klinge und Dr. Reijer Henrikse vom Department of Geography, Cosmopolis Centre for Urban Research der Vrije Universiteit Brüssel haben die rasante und hoch volatile Börsenwertentwicklung von Tesla-Aktien erstmals einer verschränkten und ganzheitlichen Analyse unterzogen. Dabei wurden sowohl die Makro- als auch die Mikrodynamiken, die die Finanzmarktentwicklung des Unternehmens seit dem Börsengang 2010 geprägt haben, in den Blick genommen.
„Unsere verschränkte Analyse zeigt, dass diese Erfolge nicht bloß auf die unternehmerische Innovationskraft zurückzuführen sind, die Elon Musk persönlich oft zugesprochen wird. Ebenso wenig genügt der kommerzielle Erfolg des Unternehmens, um diese Ausschläge zu erklären“, sagt Ouma. Die Einflussfaktoren aus Sicht der Forscher: in den sozialen Medien kultivierte Erzählungen und Inszenierungen, eine treue Anhängerschaft, der Aufstieg neuer Handelsplattformen für Privatkunden und der Hype um die Aufnahme von Tesla in Index-Fonds. „Das alles hat dazu beigetragen, dass die Aktie ein sogenanntes ‚Momentum‘ entwickelte“, erklärt der Wirtschaftsgeograf Ouma. Zudem wurde diese Dynamik durch ein außergewöhnlich hohes Handelsvolumen von Tesla-bezogenen Finanzderivaten (Anlageprodukte, die ihren Wert von anderen Wertpapieren ableiten) befördert.
Diese Untersuchung unterstreicht die Bedeutung einer umfassenden Analyse, die über die üblichen Finanzkennzahlen hinausgeht und auch Faktoren wie soziale Medien, die narrative Dimension von Finanzmärkten, politökonomische Kontexte und spezifische Konstellationen im Bereich der Corporate Goverance in den Blick nimmt, die gerade für viele Tech-Unternehmen kennzeichnend sind.
Für die Wissenschaftler ist Tesla ein charakteristisches Beispiel für einen zunehmend technologiegetriebenen finanzialisierten Kapitalismus, in dem stärker denn je Wetten auf zukünftige Kursentwicklungen von Technologie-Aktien den Weg der dahinterstehenden Unternehmen in der Gegenwart bestimmen. „Spekulation spielen eine größere Rolle als realwirtschaftliche Leistung. Dies wiederum führt zu massiven Wohlstandsgewinnen und mitunter auch politischer Macht bestimmter Gruppen von Investoren und Eigentümern“, gibt Ouma zu Bedenken. Denn ein Nebeneffekt ist laut den Forschern: Der daraus resultierende Boom an der Börse ermöglichte es nicht nur Tesla, seit 2019 seine Finanzen zu stabilisieren, sondern ermöglichte es auch Elon Musk, aufgrund eines speziellen Vergütungspakets sein Privatvermögen weiter zu steigern und zum reichsten Menschen der Welt aufzusteigen. Ouma erklärt: „Wir nennen dieses Profitieren ‚Capitalizing on Conjunctures‘. Dieser Befund lässt Narrative, die lediglich die kreativ-zerstörerische Schaffenskraft einer einzelnen Unternehmerpersönlichkeit in den Mittelpunkt stellen, in einem ganz anderen Licht erscheinen.“