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Universität Bayreuth, Pressemitteilung Nr. 074/2023 vom 05.06.2023

Neue Studie der Universität Bayreuth untersucht Möglichkeiten zur Ausweitung des Naturschutzes in der EU

Gefährdete und typische Lebensräume in Europa mit ihrer Artenvielfalt zu erhalten, ist das Ziel von Natura 2000, eines von der EU eingerichteten Netzwerks von Naturschutzgebieten. Bis 2030 wollen die EU-Mitgliedstaaten dieses Netzwerk erheblich erweitern. Eine neue, im „Journal for Nature Conservation“ erschienene biogeografische Studie der Universität Bayreuth zeigt: Natura 2000-Gebiete in finanzschwächeren EU-Mitgliedstaaten auf unmittelbar benachbarte Regionen auszuweiten, kann eine effektive Strategie zur Steigerung des Arten- und Landschaftsschutzes sein. Natürliche Lebensräume in diesen Regionen werden nur selten durch Siedlungen und wirtschaftliche Infrastrukturen geschmälert.

Gebirgsregionen in der direkten Umgebung von Natura 2000-Gebieten, wie hier in den nordeuropäischen Skanden, sind bisher kaum fragmentiert.

Prof. Dr. Carl Beierkuhnlein, Inhaber des Lehrstuhls für Biogeografie an der Universität Bayreuth, und seine Mitarbeiterin Dr. Alexandra Lawrence haben neun benachbarte Regionen von Natura 2000-Gebieten in 27 europäischen Ländern daraufhin untersucht, wie stark sie durch Einflüsse des Menschen fragmentiert sind. Den Begriff „Fragmentierung“ definieren sie als einen Prozess, der einen zusammenhängenden Lebensraum von Tieren und Pflanzen in eine wachsende Zahl kleiner Einzelflächen auftrennt und ihn dabei insgesamt verringert. Der innereuropäische Vergleich ergibt, dass Gebirgsregionen und andere wenig besiedelte Regionen, die sich in der direkten Umgebung von Natura 2000-Gebieten befinden, bisher kaum fragmentiert sind. Folglich gibt es hier eine vergleichsweise große Zahl intakter Ökosysteme mit einer signifikanten Artenvielfalt und zusammenhängenden Lebensräumen. 

Fragmentierung eines borealen Nadelwalds durch Straßen.

Hauptsächlich sind es Länder im Norden und Osten Europas, die Nature 2000-Gebiete mit weiträumigen und geringfügig fragmentierten Umgebungen beherbergen. Viele dieser Länder schützen – wie die Bayreuther Berechnungen zeigen – mit jedem Euro, den sie für den Naturschutz ausgeben, eine vergleichsweise große Fläche. Rumänien, Bulgarien, Griechenland und die baltischen Staaten stehen hinsichtlich dieses günstigen Verhältnisses von Ausgaben und geschützten nationalen Flächen an der Spitze in der EU. Gleichzeitig sind die Umgebungen ihrer Natura 2000-Gebiete im EU-Vergleich am wenigsten zerstückelt. Daher liegt es nahe, Gebiete auf diese infrastrukturarmen, weitgehend nicht bewirtschafteten Regionen in der Nachbarschaft auszuweiten.

Genau hier aber entsteht ein Dilemma: Die hohe Effizienz von Ausgaben für den Naturschutz, vor allem in einigen Ländern im Osten Europas, ist wesentlich durch die geringe Bevölkerungsdichte sowie durch niedrige Arbeits- und Bodenkosten bedingt – also durch eine Kombination von Faktoren, die für ein vergleichsweise niedriges Bruttosozialprodukt typisch sind. Es wäre ethisch und politisch fragwürdig, diese Konstellation „einzufrieren“, um sie zum Nachteil wirtschaftlich ärmerer EU-Mitgliedstaaten für einen gesteigerten Naturschutz nutzen zu können. „Künftige Schutzgebietserweitungen in Niedrigkostenländern sollten seitens der EU mit einer nachhaltigen finanziellen Unterstützung und einer politischen Förderung von Aktivitäten im Umwelt- und Naturschutz verknüpft werden. Innerhalb der EU sollte verstärkt darüber nachgedacht werden, wie diese Länder gezielt unterstützt werden können, damit sie bereit sind, auf eine intensivere wirtschaftlichen Nutzung ökologisch wertvoller Flächen zu verzichten und mehr in den Naturschutz zu investieren,“ sagt die Erstautorin der Studie Dr. Alexandra Lawrence vom Lehrstuhl für Biogeografie der Universität Bayreuth. In diesem Zusammenhang betont sie, dass geringe staatliche Ausgaben pro geschützter Fläche nicht notwendigerweise ein Ausdruck besonders effizienter Naturschutz-Maßnahmen sein müssen. Sie können ebenso ein Indiz für eine mangelnde Durchsetzung des Naturschutzes und damit auch für einen unzureichenden Artenschutz sein.

Dr. Alexandra Lawrence, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Biogeografie der Universität Bayreuth.

„Die Ergebnisse unserer Berechnungen machen deutlich, dass einige der am schwächsten finanzierten Natura 2000-Gebiete sich besonders gut für eine den Arten- und Landschaftsschutz fördernde Ausweitung auf angrenzende Regionen eignen. Unsere Studie bietet daher eine Basis für effiziente Naturschutzentscheidungen auf europäischer Ebene. Angesichts des Klimawandels ist es umso dringlicher, eine hohe ökologische Qualität der Regionen zu gewährleisten, die künftig in der EU unter Naturschutz gestellt werden sollen“, sagt Prof. Dr. Carl Beierkuhnlein, Inhaber des Lehrstuhls für Biogeografie an der Universität Bayreuth.

Veröffentlichung:
Alexandra Lawrence, Carl Beierkuhnlein: Detecting low fragmented sites surrounding European protected areas – Implications for expansion of the Natura 2000 network. Journal for Nature Conservation 73 (2023), DOI: https://doi.org/10.1016/j.jnc.2023.126398

Dr. Alexandra Lawrence.

Dr. Alexandra Lawrence

Lehrstuhl Biogeografie
Universität Bayreuth

Christian Wißler, Wissenschaftskommunikation

Christian Wißler

Stellv. Pressesprecher, Wissenschaftskommunikation
Universität Bayreuth

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