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Universität Bayreuth, Pressemitteilung Nr. 105/2023 vom 19.07.2023

Internationale Studie: Zusammenhänge zwischen Einkommen und Terrorismus folgen global dem gleichen Muster

Steigende Einkommen in den ärmeren Ländern der Welt schwächen den Terrorismus: Davon sind viele politische Entscheidungsträger seit den Anschlägen vom 11. September 2001 überzeugt. Eine im „Journal of Conflict Resolution“ veröffentlichte Studie des Bayreuther Ökonomen Prof. Dr. David Stadelmann relativiert jedoch diese Sichtweise. Gemeinsam mit Forschungspartnern in Abu Dhabi/VAE und Perth/Australien weist er nach, dass der Anstieg der Einkommen in ärmeren Ländern zunächst mit einer Zunahme terroristischer Aktivitäten einhergeht. Erst wenn das Durchschnittseinkommen einen Wert von rund 12.800 US-Dollar erreicht hat, gehen weitere Einkommenszuwächse mit einer nachhaltigen Schwächung von Terrorismus einher.

Das Fazit der Studie lautet: Weltweit müssen Gesellschaften in ärmeren Ländern mit einer Verstärkung terroristischer Aktivitäten und nicht mit einem Rückgang rechnen, wenn sich die ökonomischen Verhältnisse durch Wirtschaftswachstum zu bessern beginnen. Signifikantes Wirtschaftswachstum sollte daher in seiner Anfangsphase von einer intensiveren Beobachtung potentieller Terror-Gruppen und möglichst auch von Strategien der Terrorismusbekämpfung begleitet werden. „Wir hoffen, dass unsere Analysen politische Entscheidungsträger auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene zu einer weiteren Erforschung des Zusammenhangs zwischen ökonomischen Fortschritten und Terrorismus anregen. Sehr lange hat die Sichtweise, steigende Einkommen und eine damit einhergehende Hebung des Lebenstandards würden gleichsam automatisch die Gefahr terroristischer Anschläge verringern, politische und gesellschaftliche Entscheidungen beeinflusst. Doch die Situation ist komplexer“, sagt Prof. Dr. David Stadelmann, der an der Universität Bayreuth den Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und wirtschaftliche Entwicklung innehat.

Empirische Daten aus über 1.500 Regionen der Welt
Die Autoren der Studie haben zunächst auf der Basis des aktuellen Forschungsstands einen theoretischen Rahmen entwickelt, um Zusammenhänge zwischen dem Grad terroristischer Aktivitäten und der Einkommensentwicklung in der Bevölkerung formal darstellen und analysieren zu können. Darauf aufbauend, haben sie eine in ihrer Breite besondere Datenbank aufgebaut: Sie enthält für 1.527 Regionen in 75 Ländern, die für den globalen Zusammenhang zwischen Einkommen und Terrorismus weitgehend repräsentativ sind, empirische Daten aus den Jahren zwischen 1970 und 2014. Diese Daten beziehen sich insbesondere auf die Häufigkeit und die Motive von Terroranschlägen sowie den Lebensstandard der Bevölkerung in den verschiedenen Regionen. Mittels statistischer Methoden werden auch über die Zeit konstante Faktoren mit einbezogen, also beispielsweise spezifische geographische, historische oder dauerhafte kulturelle Gegebenheiten, die im positiven oder negativen Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten stehen können.

Die „umgekehrte U-Form“ als globales Grundmuster
Trotz aller Unterschiede zeigt sich ein klares Grundmuster. Es wird von den Autoren als „umgekehrte U-Form“ beschrieben: Nahezu überall geht ein Anstieg der Einkommen anfänglich mit einer zunehmenden Häufigkeit und Intensität terroristischer Aktivitäten einher, bis ein Kipp-Punkt erreicht ist. Von da an ist ein weiterer Anstieg der Einkommen mit einer kontinuierlichen Abschwächung des Terrorismus verknüpft. Der Kipp-Punkt ist, so zeigen die Berechnungen, dann erreicht, wenn der Anstieg der Jahreseinkommen bei durchschnittlich 12.800 US-Dollar pro Kopf angekommen ist. „Die Tatsache, dass sich die umgekehrte U-Form in mehr als 1.500 Regionen der Welt als Grundmuster herauskristallisiert hat, zeigt sehr deutlich, dass es global einen signifikanten Zusammenhang zwischen Einkommensniveau und Terrorismus gibt“, erklärt Stadelmann.

Präzisere Erkenntnisse durch Vergleiche subnationaler Regionen
Die Autoren betonen, dass sich der Zusammenhang zwischen Einkommensniveau und Terrorismus genauer erschließen lässt, wenn statt ganzer Länder wie Frankreich, Spanien, Pakistan und den USA ausgewählte subnationale Regionen untersucht werden – wie beispielsweise Île-de-France, Katalonien, Belutschistan oder Kalifornien. Dieses Verfahren ist aus zwei Gründen präziser: Oft konzentrieren sich Terroranschläge auf eine Region, statt sich gleichmäßig im Land zu verteilen. So blieb in Chile die Region O'Higgins von 1970 bis 2014 von Terror verschont, während die verwendeten Daten für die Metropolregion Santiago 1.612 Anschläge aufzeigen. Zudem sind Einkommensunterschiede zwischen einzelnen Regionen oft größer als zwischen verschiedenen Ländern. Zum Beispiel ist das Durchschnittseinkommen in Moskau höher als in Sizilien, obwohl die Bevölkerung in Italien im Durchschnitt etwa dreimal wohlhabender ist als in Russland. Solche Differenzierungen gehen in Untersuchungen verloren, die sich nur auf Ländervergleiche beschränken.

Politisch und religiös motivierter Terrorismus
Die Studie bezieht auch die Frage ein, ob politische oder religiöse Ideologien, die terroristische Anschläge motivieren, den Zusammenhang zwischen Einkommen und Terrorismus beeinflussen. Die Forscher unterscheiden dabei zwischen linksgerichteten, rechtsgerichteten, separatistischen, islamistischen und anderen religiösen Gruppen. Die Analysen zeigen, dass religiös motivierter Terrorismus sich bei kontinuierlich steigenden Einkommen früher abschwächt als links- oder rechtsgerichteter Terrorismus. Bei solchen politisch motivierten Formen des Terrorismus setzt der Kipp-Punkt erst etwas später ein, wenn höhere Einkommensniveaus erreicht sind. Insgesamt aber findet sich die umgekehrte U-Form in allen Varianten des Terrorismus wieder – wie immer sie ideologisch geprägt sind.

Veröffentlichung:
Michael Jetter, Rafat Mahmood, David Stadelmann: Income and Terrorism: Insights from Subnational Data. Journal of Conflict Resolution (2023), DOI: https://dx.doi.org/10.1177/00220027231175071

Portrait David Stadelmann

Prof. Dr. David Stadelmann

Wirtschaftspolitik und wirtschaftliche Entwicklung
Universität Bayreuth

Christian Wißler, Wissenschaftskommunikation

Christian Wißler

Stellv. Pressesprecher, Wissenschaftskommunikation
Universität Bayreuth

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