Als die modernen Naturwissenschaften im 17. und 18 Jahrhundert entstanden, bediente man sich u.a. der Dichtung, um das neue Wissen zu verbreiten. „Solche Lehrdichtung bot sich an, um neuen Ideen Form zu geben und sie so zu legitimieren. Sie konnte physische und metaphysische Sachverhalte in einer Weise fruchtbar machen, wie es andere Textformen nicht vermochten. Die Dichtung war nicht bloßes Ornament, sondern sie sollte die unsichtbaren Strukturen der Welt enthüllen“, sagt Prof. Dr. Florian Klaeger, Inhaber der Professur für englische Literaturwissenschaft an der Universität Bayreuth und einer der Leiter des internationalen Projekts.
Die geplante Auseinandersetzung mit einer Vielzahl bislang weitgehend unerforschter englischer und deutscher Lehrgedichte beleuchtet eine wichtige Facette der Kultur von der Renaissance bis zur Aufklärung. Neben der volkssprachlichen und der neulateinischen Lehrdichtung, die sich mit Themen von der Bluttransfusion bis zur Flugtheorie beschäftigt, erforscht das Projekt ein Korpus unbekannter und größtenteils nur im Manuskript vorliegender Dichtung von Frauen wie Anne Southwell, Dorothy Calthorpe oder Jane Barker, die theologisch-naturwissenschaftliches Wissen teils auf überraschende Weise formulierten und einsetzten. Klaeger betont: „Wir schließen damit eine Lücke, denn obwohl die Forschung sich seit einiger Zeit mit der ‚Poetologie des Wissens‘ beschäftigt, blieb sie bislang vornehmlich auf die volkssprachliche Prosa späterer Epochen und auf männliche Autoren konzentriert. Das Projekt will demgegenüber den wichtigen Beitrag frühneuzeitlicher Lyrikerinnen aufzeigen.“ Ein weiterer blinder Fleck der Forschung ist die Zirkulation von poetischem und wissenschaftlichem Wissen zwischen England und Deutschland während der europäischen Frühaufklärung. Auch dieser Austausch soll näher erfasst werden.