„Bisher gab es in der entwicklungsökonomischen Forschung Hinweise darauf, dass Häfen als nationale und internationale Handelszentren den Lebensstandard im unmittelbar benachbarten Binnenland positiv beeinflussen und dass weiter entfernte Regionen deutlich weniger von diesen Vorteilen profitieren können. Wir haben dazu auch in anderen Forschungsarbeiten neue Erkenntnisse beigetragen. In unserer aktuellen Studie aber haben wir erstmals signifikante Zusammenhänge zwischen dem individuellen Wohlstand der Menschen und ihrer Entfernung von den Küsten nachweisen können. Faktoren, die dabei eine zentrale Rolle spielen und durch die Nähe zu den Häfen signifikant gestärkt werden, sind Bildung und Wissen, Urbanisierung und Infrastruktur“, sagt Prof. Dr. David Stadelmann, Professor für Wirtschaftspolitik und wirtschaftliche Entwicklung an der Universität Bayreuth.
Mit statistischen Berechnungen ist es ihm und seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Frederik Wild gelungen, die Auswirkungen der Küstennähe auf den Wohlstand der Bevölkerung klar von dem Einfluss anderer wohlstandsrelevanter Faktoren abzugrenzen. Hierzu zählen beispielsweise das Klima und extreme Wetterereignisse, der Zugang der Menschen zu Flüssen und Seen, die Fruchtbarkeit von Ackerland, die Gefährdung durch Malaria oder auch landschaftliche Besonderheiten, die den Personen- und Güterverkehr fördern oder behindern. Auch die Auswirkungen demografischer Gegebenheiten wie die Alterstruktur der Bevölkerung, die Siedlungsdichte und die Nähe zu größeren Städten wurden berücksichtigt.
Die beiden Autoren haben Daten von Umfragen einbezogen, die vom panafrikanischen Meinungsforschungsinstitut „Afrobarometer“ durchgeführt wurden. Darin wurde unter anderem auch nach der Einschätzung von Organisationen gefragt, die der überregionalen wirtschaftlichen Integration dienen. „Menschen in Subsahara-Afrika, die weiter von den Küsten entfernt sind, neigen stärker dazu, ihre jeweiligen regionalen Wirtschaftsgemeinschaften – die Regional Economic Communities – oder auch die Afrikanische Union insgesamt als hilfreich für ihr Land zu bezeichnen. Darin drückt sich die Erwartung aus, dass regionale Wirtschaftsintegration dazu beitragen kann, den Handel in küstenfernen und insofern benachteiligten Regionen zu stärken“, sagt Frederik Wild, der sich im Rahmen eines Forschungsprojekts im Exzellenzcluster „Africa Multiple“ der Universität Bayreuth mit Handelsintegration in Afrika befasst.
Die Bayreuther Entwicklungsökonomen betonen, dass eine weite Entfernung von den Küsten keineswegs schicksalhaft einen geringeren Wohlstand der Menschen bewirkt. „Unsere Forschung der letzten Jahre hat gezeigt, dass auch gute Regierungsführung den Lebensstandard der Bevölkerung erheblich beeinflusst. Politisch Verantwortliche auf nationaler und regionaler Ebene könnten beispielsweise durch eine gezielte Stärkung des Zugangs zu Bildungseinrichtungen, den Ausbau von Infrastruktur, vorteilhafte Investitionsbedingungen und die Eindämmung von Korruption die ökonomischen Nachteile ausgleichen, die durch ungünstige geographische Faktoren bedingt sind“, erklärt Stadelmann.
Veröffentlichung:
Frederik Wild, David Stadelmann: Coastal proximity and individual living standards: Econometric evidence from georeferenced household surveys in sub-Saharan Africa. Review of Development Economics (2022), Early View (open access). DOI: https://doi.org/10.1111/rode.12901 - Die zugrunde liegenden Daten sind veröffentlicht unter: https://dx.doi.org/10.6084/m9.figshare.19638705.v1