Eines der neuen Projekte an der Universität Bayreuth befasst sich mit den Grundlagen und der Entwicklung eines neuen Verfahrens, das eine effiziente, kostengünstige und bedarfsorientierte Ammoniakherstellung ermöglicht. Auch Entwicklungsländer können so in die Lage versetzt werden, stickstoffhaltige Düngemittel für nährstoffarme Böden zu produzieren. Prof. Dr. Roland Marschall kooperiert in diesem Projekt mit Prof. Dr. Barbara Milow am Institut für Werkstoff-Forschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln sowie mit Prof. Dr. Dirk Ziegenbalg am Institut für Chemieingenieurwesen an der Universität Ulm. Bei dem angestrebten Verfahren geht es darum, nanostrukturierte Halbleiter (TiO₂-Aerogele) durch Lichtbestrahlung mit Elektronen zu laden. Diese Halbleiter werden im Dunkeln mit Stickstoffmolekülen (N₂) entladen, so dass Ammoniak entsteht. „Unser Ziel in diesem Projekt ist eine bedarfsgerechte Produktion von Ammoniak zu jeder Zeit. In weiteren Schritten wollen wir ein Konzept für einen neuartigen Reaktor entwickeln, mit dem diese On-Demand-Produktion ohne hohen technologischen Aufwand dezentral stattfinden kann. Während das Haber-Bosch-Verfahren auf große zentrale Industrieanlagen angewiesen ist, setzt unser alternativer Weg auf die flexible Düngemittelproduktion vor Ort“, sagt Prof. Dr. Roland Marschall, der an der Universität Bayreuth den Lehrstuhl Physikalische Chemie III innehat.
Das Schwerpunktprogramm beschränkt sich aber ausdrücklich nicht auf neuartige Wege zur Ammoniaksynthese. Es setzt bei der grundsätzlichen Herausforderung an, dass Stickstoff in der Natur fast nur in Form von N₂-Molekülen vorkommt. Darin sind zwei Stickstoffatome durch eine außerordentlich starke Dreifachbindung gekoppelt. Diese Bindung muss aufgebrochen werden, damit Stickstoff für die Produktion von Düngemitteln und anderen Alltagsprodukten verfügbar wird.
Vor diesem Hintergrund befasst sich das zweite Forschungsprojekt an der Universität Bayreuth mit einem speziellen, aber zentralen Aspekt der Stickstoffgewinnung: der katalytischen Reduktion von N₂. Natürliches Vorbild sind Enzymkomplexe, sogenannte Nitrogenasen, die von neuartigen Katalysatormaterialien nachgeahmt und möglicherweise sogar übertroffen werden sollen. Die Forschungsarbeiten zielen darauf ab, geeignete Elektroden und Elektrolyt-Kombinationen zu entwickeln, die optimal geeignet sind, die jeweils gewünschten elektro- und photoelektrokatalytischen Reaktionen in Gang zu setzen. Die Forschungsarbeiten beziehen auch neue Technologien des Elektrospinning ein, um hybride Elektrolyte zu erproben, bei denen ionische Flüssigkeiten auf und in faserigen Strukturen fixiert sind. In diesem zweiten Projekt kooperiert Prof. Dr. Roland Marschall mit der Bayreuther Ingenieurwissenschaftlerin Prof. Dr.-Ing. Christina Roth und mit Prof. Dr. Andrea Balducci an der Chemisch-Geowissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
„Das Schwerpunktprogramm mit seinen insgesamt elf Forschungsprojekten bietet die einmalige Chance, in enger multi- und interdisziplinärer Zusammenarbeit den Voraussetzungen einer nachhaltigen Stickstoffgewinnung auf den Grund zu gehen und dafür Konzepte bereitzustellen, die flexibel und kostengünstig umgesetzt werden können. Insgesamt sind jetzt 21 Universitäten und Forschungseinrichtungen am SPP 2370 beteiligt. Wir werden darauf hinarbeiten, unter den Aspekten des Klimaschutzes, der Energieeffizienz und der Ressourcenschonung praktikable Lösungen zu erarbeiten, die nicht notwendigerweise an die hochtechnologischen Voraussetzungen westlicher Industrieländer gebunden sind. Die aktuell drohende Ernährungskrise infolge drastisch verringerter Düngemittel- und Getreide-Exporte zeigt die Dringlichkeit der Herausforderungen, die wir jetzt gemeinsam angehen wollen“, sagt SPP-Koordinator Prof. Dr. Roland Marschall.