Zertifikatehandel schwächt die moralische Motivation der Verbraucher*innen
Der Studie liegt die Annahme zugrunde, dass es eine große Zahl von individuellen Verbraucher*innen sowie von Unternehmen und Kommunen gibt, die aus moralischen Gründen bereit sind, ihren klimatischen Fußabdruck zu senken – allerdings nur, wenn sie zu Recht davon ausgehen können, dass ihr Verhalten die Gesamtmenge der CO₂-Emissionen beeinflusst. Damit ist die weitere Annahme verbunden, dass der Staat die Treibhausgas-Emissionen grundsätzlich reguliert. Unter diesen Annahmen kommen die Autoren zu dem Ergebnis: Eine Bepreisung von Treibhausgas-Emissionen in Form einer Ökosteuer ergänzt die freiwilligen, moralisch motivierten Anstrengungen zur Emissionsreduzierung. Sie ist ein starker Anreiz für die Verbraucher*innen, den eigenen Verbrauch einzuschränken. Eine Deckelung der Emissionen in Verbindung mit einem Zertifikatehandel (cap-and-trade) schwächt hingegen die moralische Motivation von Verbraucher*innen.
Die Autoren begründen die nachteiligen Auswirkungen des Zertifikatehandels mit dem sogenannten "Wasserbetteffekt": Wenn moralisch motivierte Akteure ihre Emissionen freiwillig reduzieren, indem sie etwa in private Solarstromanlagen investieren oder kurze Strecken mit der Bahn statt mit dem Flugzeug zurücklegen, können sie dadurch die staatlicherseits festgelegte Gesamtmenge der Emissionen nicht verringern. Freiwillige Maßnahmen zur Reduktion der Emissionen bewirken lediglich, dass der Preis für Emissionsrechte sinkt – was andere Marktteilnehmer wiederum zum Kauf dieser Rechte motiviert und ihnen zusätzliche CO₂-Emissionen ermöglicht. Die grundsätzlich zum Verzicht bereiten Verbraucher*innen sind sich dieses Zusammenhangs bewusst und werden trotz moralischer Bedenken ihren Verbrauch nicht einschränken. Umgekehrt verhält es sich, wenn die Emissionen besteuert werden. In diesem Fall wissen die Verbraucher*innen, dass sie die Gesamtmenge der Emissionen individuell beeinflussen können, und ihre moralische Motivation setzt sich durch – zum Vorteil für den Klimaschutz.
Ökosteuer bewirkt gerechtere Lastenverteilung
Die Kosten für CO₂-Emissionen über eine Besteuerung statt über einen Zertifikatehandel zu regulieren, ist nicht nur in ökologischer Hinsicht effektiver, sondern verdient auch im Hinblick auf eine gerechte Lastenverteilung den Vorzug. Dies zeigen Berechnungen, die zwischen einer reichen und einer armen Gruppe von Verbraucher*innen unterscheidet. Werden die CO₂-Emissionen durch einen Zertifikatehandel reguliert, dann schränken nur finanzschwache Haushalte ihren klimaschädlichen Konsum ein. Finanzstarke Haushalte verringern ihren Konsum nicht, sondern kaufen Zertifikate, um ihren hohen Konsum zu ‚kompensieren‘ und so den individuellen klimatischen Fußabdruck zu reduzieren. Die Regierung sieht diese erhöhte Nachfrage nach Zertifikaten voraus und gibt, um deren Preis niedrig zu halten, mehr Zertifikate aus. Dagegen setzt eine Ökosteuer für beide Verbrauchergruppen ähnlich starke Anreize, zur Senkung von Emissionen beizutragen. Diese Zusammenhänge sollten seitens der Politik künftig stärker beachtet werden“, sagt Herweg.
Einflüsse der Verbraucher*innen auf Wirtschaft und Politik
Die Studie berücksichtigt auch die Tatsache, dass Verbraucher*innen die Entscheidungen von Unternehmen und Regierungen zunehmend beeinflussen. So wollen heute zahlreiche Unternehmen klimaneutral werden – zum Beispiel weil sie ihre Attraktivität für klimabewusste Verbraucher*innen und Mitarbeiter*innen steigern wollen oder weil sie im Besitz klimabewusster Investor*innen sind. Politisch Verantwortliche reagieren auf Forderungen aus ihrer Wählerschaft und fördern Investitionen in „grüne“ Technologien zur Energiegewinnung. Die Autoren zeigen, dass diese Anstrengungen nur im Falle einer Bepreisung von Emissionen durch eine Ökosteuer, nicht aber bei einer Regulierung der Emissionen durch Zertifikatehandel den Klimaschutz signifikant voranbringen.
Veröffentlichung:
Fabian Herweg, Klaus Schmidt: How to Regulate Carbon Emissions with Climate-conscious Consumers. Economic Journal (2022), DOI: https://doi.org/10.1093/ej/ueac045