In einem ersten Schritt haben die Autoren der Studie den Effekt der Briefwahl auf die Wahlbeteiligung untersucht. Sie verglichen dabei den Unterschied der Wahlbeteiligung zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang 2020 mit den Unterschieden in der Wahlbeteiligung in beiden Wahlgängen früherer Jahre. Wie sich herausstellte, stieg die Wahlbeteiligung 2020 gegenüber früheren zweiten Wahlgängen ungewöhnlich stark an – landesweit um mehr als zehn Prozentpunkte. „Ein derart hoher Anstieg der Wahlbeteiligung bei Stichwahlen kam in der deutschen Kommunalpolitik in dieser Breite bisher nicht vor. In den vorherigen bayerischen Kommunalwahlen 2008 und 2014 lag die Wahlbeteiligung in den zweiten Wahlgängen niedriger als beim ersten Wahlgang. Bei der letzten Bürgermeisterwahl 2020 jedoch stieg die Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang landesweit an. Wir können davon ausgehen, dass dieser Anstieg 2020 fast ausschließlich darauf zurückzuführen ist, dass die Teilnahme an den Stichwahlen wegen der Briefwahl für alle Wahlberechtigten bequem und ohne zusätzlichen Aufwand möglich war. Lokale Besonderheiten, beispielsweise ein enger Wettbewerb um das Bürgermeisteramt oder unterschiedliche Beliebtheitswerte der Kandidatinnen und Kandidaten, spielten für den Anstieg der Wahlbeteiligung hingegen keine Rolle. Damit lag eine seltene, aber besonders günstige Konstellation vor, um zu untersuchen, wie sich ein derartiger Anstieg der Wahlbeteiligung als solcher auf das Wahlergebnis auswirkt“, erklärt Marco Frank, Erstautor der Studie und Mitarbeiter bei Prof. Stadelmann an der Universität Bayreuth.
Mit modernen ökonometrischen Verfahren ist das Team dann der Frage nachgegangen, ob die für eine Wiederwahl kandidierenden Amtsinhaber*innen vom Anstieg der Wahlbeteiligung profitiert haben. Die Berechnungen belegen genau dies: Sie zeigen, dass der unerwartete Anstieg der Wahlbeteiligung, der nicht mit lokalen Besonderheiten des politischen Wettbewerbs oder den Beliebtheitswerten der Kandidat*innen zusammenhängt, die Vorteile der Amtsinhaber*innen systematisch und signifikant erhöht. „Ein Anstieg der Wahlbeteiligung um 10 Prozentpunkte, der mit den kommunalpolitischen Besonderheiten vor Ort nichts zu tun hat, führt im Durchschnitt zu einem statistisch robusten Anstieg des Stimmenanteils für amtierende Bürgermeisterinnen und Bürgermeister um durchschnittlich 3,4 Prozentpunkte. Ist der lokale politische Wettbewerb eher schwach ausgeprägt, erhöht sich deren Stimmenanteil sogar um mehr als fünf Prozentpunkte“, fasst Prof. Stadelmann die Hauptergebnisse der Studie zusammen. Dementsprechend dürften einige Amtsinhaber*innen auch dank der durch die Briefwahl höheren Wahlbeteiligung überhaupt wiedergewählt worden sein.
Die Autoren der Studie haben bei ihrer Analyse der bayerischen Bürgermeisterwahlen 2020 auch festgestellt, dass der von lokalpolitischen Faktoren unabhängige Anstieg der Wahlbeteiligung den Ausgang der Stichwahlen nicht geschlechtsneutral beeinflusst hat: Männliche Amtsinhaber konnten von diesem Anstieg etwas stärker profitieren als Bürgermeisterinnen, die eine Wiederwahl anstrebten.
Veröffentlichung:
Marco Frank, David Stadelmann, Benno Torgler: Higher turnout increases incumbency advantages: Evidence from mayoral elections. Economics & Politics (2022),
DOI: https://doi.org/10.1111/ecpo.12226